The Other Side of Banking – Non-institutional Credit Across Europe (17th – 19th cc.)

The Other Side of Banking – Non-institutional Credit Across Europe (17th – 19th cc.)

Organisatoren
Fakultät für Wirtschaft und Management, Universität Trient
Ort
Trient
Land
Italy
Vom - Bis
05.06.2015 - 06.06.2015
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Von
Daniel Reupke, Historisches Institut, Neuere Geschichte und Landesgeschichte, Universität des Saarlandes

Am 5. und 6. Juni 2015 fand an der Fakultät für Wirtschaft und Management (Dipartimento di Economia e Management) der Universität Trient (Università di Trento) ein Workshop mit dem Titel „The Other Side of Banking“ statt. Organisiert von Cinzia Lorandini und Marcella Lorenzini (beide Trient) versammelte der Workshop Ökonomen und Historiker aus Italien, Spanien, England und Deutschland mit dem Ziel, den internationalen Forschungsstand zum nicht-institutionalisierten Kredit in Europa zwischen 1600 und 1900 zusammenzutragen. Die wirtschaftshistorischen Forschungsprojekte der Organisatorinnen siedeln sich in der Kreditgeschichte der Frühen Neuzeit an. Diese sollen einen Schwerpunkt des in großzügiger Weise öffentlich geförderten Forschungsprofils der Fakultät darstellen, so Dekan Andrea Leonardi (Trient) in seiner Begrüßung.

Ein erster Block umfasste vier Vorträge zur Kreditgeschichte der Sattelzeit zwischen 1750 und 1820. CINZIA LORANDINI (Trient) stellte im einleitenden Beitrag Finanzierungsinstrumente der Seidenindustrie in Trient vor: Bedingt durch die beinah einjährige Amortisationszeit zwischen der Investition in Seidenraupen und dem pay-off durch den Verkauf der gewebten Seidenstoffe war es notwendig, viel Kapital über einen langen Zeitraum zu binden. Dieses Kapital wurde üblicherweise familienintern oder bei so genannten Kaufmanns-Bankiers an Messestandorten akquiriert. Anhand des Nachlasses des Seidenherstellers Salvadori in Trient und der Akten des Kaufmannsgerichts in Bozen versuchte Lorandini die Fragen zu klären, welche Art von Kreditvertrag (es treten Depositum, eine Art Sichteinlage auf einem für den Kreditnehmer zugänglichen Konto, Notarvertrag und Privatvertrag auf) unter welchen Umständen gewählt wurde und welche Rolle dem Kaufmannsgericht als Rechtsinstitution zukam. Die damit verbundene Rechtssicherheit führte zu einer Reduzierung der Transaktionskosten und ermöglichte es dem Seidenunternehmer, Kapital aus der Familie, aus dem lokalen Patriziat und von reisenden Kaufleuten zu akkumulieren. Bemerkenswert waren Mitglieder der Nobilität als Investoren, denen eine der limited partnership ähnliche Gesellschaftsform bei gleichzeitiger Risikominimierung und Statuserhaltung den Einstieg in protoindustrielle Wirtschaftsformen ermöglichte.

MARCELLA LORENZINI (Trient) verglich für ihr Projekt die Kreditmärkte der Nachbarorte Revereto und Trient für vier Stichjahre anhand von erhaltenen Kreditverträgen. Dabei ergäben sich große Unterschiede zwischen den untersuchten Städten bedingt durch die unterschiedlichen Voraussetzungen der Orte: Während Trient als Bischofssitz eine große Notardichte bei niedrigen Umsätzen aufwies, sind bei dreifachem Marktvolumen ein Drittel weniger Notare in der an das habsburgische Handelsstraßennetz angeschlossenen Seidenstadt Revereto zu vermerken. Auf abweichende Marktstrukturen verweisen auch die Länge der Laufzeiten, die ausdifferenzierten Zinshöhen und die verschiedenartigen Sicherheiten in den Verträgen. So werde klar, dass die höhere Nachfrage in Revereto zu einem breiter gestreuten Zinssatz, aber auch zu mobilen Sicherungsleistungen führte. Die Bedeutung der Notare als Intermediäre wurde nachdrücklich herausgestellt, auch wenn die Bezeichnung als informelle Vermittler noch zu diskutieren wäre.

„In Cannon we trust“ hätte der folgende Vortrag überschrieben werden könnten, in dem CRAIG MULDREW (Cambridge) den Armenschreiber John Cannon aus Glastonbury vorstellte. Aus dessen hinterlassenem Protokollbuch wurde der Umfang seiner Tätigkeit bei der Ausfertigung von Schuldscheinen deutlich. Die juristisch nicht bindende Unterschrift des durch Bildung und Beruf besonders vertrauenswürdigen Schreibers auf den privaten Schuldscheinen verlieh diesen einen quasi-öffentlichen Glauben. Die Praxis der Weitergabe der Schuldscheine, die ungeschriebene Kreditverträge ersetzten, machte diese in Zeiten, in denen in England Bargeld knapp war, zu einem Ersatzzahlungsmittel und zu einer bemerkenswerten Frühform des Papiergeldes. Muldrews höchst induktives Fallbeispiel verweist bereits auf jene hybriden Akteure am Kreditmarkt, die in einer vielfältigen Wechselwirkung von Person, Institution und Rahmen standen.

Mit der Bedeutung von durch ‚klassische‘ Institutionen hergestellten Vertrauens befasste sich auch der Vortrag von DAVID CARVAJAL DE LA VEGA (Valladolid). Eingebettet in ein Projekt zur Kreditgeschichte der ehemaligen spanischen Hauptstadt Valladolid zwischen 1500 und 1900 befasste sich Carvajal mit der durch zahlreiche Umbrüche gekennzeichneten, krisenhaften Zeit zwischen 1808 und 1814: Laut der hinzugezogenen Notariatsakten waren die Hauptkreditgeber der Stadt die Klöster (52 Prozent Marktanteil), welche bald besonders unter den innerspanischen Herrschaftswechseln zu leiden hatte. Hinzu traten die Folgen der verschiedenen Säkularisierungen durch die französischen Besatzer und wenig später ihrer wiederum spanischen Nachfolger. Obligationen mussten bei jedem Herrschaftswechsel erneut bestätigt werden, die Verträge der aufgehobenen Klöster wurden eingetrieben, zu geringen Beträgen verkauft oder fallen gelassen. Am Ende dieses Prozesses stand der Ausfall der Kirche als Kreditgeber und der zeitweilige Marktzusammenbruch während der Kriegshandlungen 1811 und 1812. Zugezogene Kaufleute und die neue Nobilität waren nur ein geringer Ersatz in der Zeit nach 1814, die den Beginn des Niedergangs des spanischen Absolutismus markierte.

Den ersten Block schloss ein Kommentar von RENATA AGO (Rom). Sie beschäftigte sich mit dem Definitionsproblem von Institution und der Bedeutung der Instrumente, der Gerichte auf der einen und der Verträge auf der anderen Seite. Für sie war die schriftliche Fixierung einer Kreditübereinkunft der Schritt zu einer Formalisierung und damit Institutionalisierung des Kreditgeschäfts, was noch auszudifferenzieren wäre. Ago stellte auch die Bedeutung vergleichender Untersuchungen heraus, die Frage nach den handlungstragenden Akteuren – insbesondere den Vermittlern – und das Problem der Erfassung aller zu einem gegebenen Zeitpunkt bestehenden Kreditgeschäfte („hidden credit“).

Den zweiten Block eröffneten GABRIELE B. CLEMENS und DANIEL REUPKE (beide Saarbrücken) mit einem Vortrag, der sich aus ihrem Projekt zur Kreditvergabe im 19. Jahrhundert speiste. In einer vergleichenden Untersuchung der drei im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzgebiet gelegenen Kreisstädte Merzig, Sierck und Remich stellten sie zunächst fest, dass auf dem Makrolevel die institutionellen Voraussetzungen aus der napoleonischen Zeit, als alle drei Orte zum französischen Mutterland gehörten, gleichmäßig und stabil während des ganzen Untersuchungszeitraums bestehen blieben. Dies lenkte den Blick auf den Mikrolevel, wo die auf einer sehr breiten Auswertung qualitativer und quantitativer Archivdaten basierende Analyse auf die Handlungsmechanismen der Kreditgeber fokussierte. Die Vortragenden wiesen nach, dass die bedeutenden privaten Geldverleiher ähnlich professionell arbeiteten, wie man es von einer Bank erwarten würde. Vice versa folgte die Kreditvergabe der 1856 gegründeten Merziger Sparkasse noch sehr individuell orientierten Handlungsmustern. Die erstmalige Untersuchung von Mischformen, wie z.B. der Arbeiterpensionskasse der Firma Villeroy & Boch, verstärkt das Bild eines evolutionären Nebeneinanders mehrerer Organisationsformen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen VICTORIA BARNES und LUCY NEWTON (beide Reading) in ihrer Untersuchung zu den director boards der ersten joint stock banks (JSBs) in England. Nach der Finanzkrise 1825/6 erfolgte dort eine Gesetzgebungswelle, die das private Bankgewerbe regulieren sollte. Die JSBs – Banken mit einer großen Anzahl privater Teilhaber, ähnlich den Genossenschaftsbanken – bekamen eine Geschäftsführung aus Privatpersonen. In ihrem Beitrag untersuchten sie nun diese Personengruppe, die nur zu einem kleinen Teil aus professionellen Bankiers bestand. Die beiden anderen Gruppen waren Industriebankiers und Honoratioren („the great and good“). Die Akteure dieser letzteren Gruppen überschnitten sich und waren von der Charakterisierung her wohlhabend und angesehen, betrieben jedoch ihre eigenen Geschäfte, so dass die Verwaltungstätigkeit für sie eine nebenberufliche und möglichst wenig Zeit erfordernde Tätigkeit war. Ihre Verankerung in einer regional verorteten Gesellschaft folgte auch, dass die sich nach der Gesetzesnovelle konstituierenden Kreditnetzwerke lediglich lokale Strahlkraft hatten. Selbst die Sicherheiten verblieben in der personalen Dimension, da sie oft über Bürgen sichergestellt wurden. Zukünftig sollen auch hier mit Hilfe von qualitativen und quantitativen Quellen wie Protokollbüchern und banknahen Veröffentlichungen Handlungs-/Kontrollmechanismen und Formalisierungsgrade herausgearbeitet werden.

Abschließend berichtete MARIA CARMELA SCHISANI (in Verbindung mit FRANCESCA CAIAZZO, beide Neapel), wie den Bankiers Parent Schacken et Cie. aus Neapel kommend in Paris zunächst durch die Beteiligung an Eisenbahnprojekten und kleinen Banken der Eintritt in die französische „monde des affaires“ gelang. Im zweiten Empire verbanden sie sich systematisch mit Banken und Eisenbahngesellschaften, um ab etwa 1860 mit den großen Bankhäusern Crédit Industriel et Commercial und Société Générale auf Augenhöhe zu stehen. Basierend auf den Datensätzen des IFESMez1 führte Schisani eine formale Netzwerkanalyse durch, die den Weg von der Peripherie zum Zentrum des französischen Wirtschaftssystems eindrucksvoll visualisierte; dabei spielten auch geographische Aspekte wie der Sitz im gleichen Geschäftshaus oder der Bezug auf Italien als Heimat und Interessengebiet eine Rolle. Darüber hinaus wurde die Bedeutung der sozialen und religiösen Augenhöhe zwischen den Einwanderern und der französischen Gesellschaft thematisiert, jedoch die Bedeutung der persönlichen für die geschäftlichen Netzwerke weniger nachdrücklich dargestellt. Insgesamt kamen auch Schisani mit einem Zitat des Sozioökonomen Eugène d'Eichthal zu dem Schluss, dass die finanzielle Kraft des neuen Bankhauses auf einer kollektiven Basis und dem personalen Handeln der Direktoren fußte.2

In der folgenden Round table-Diskussion fasste EDUARDO DEMO (Verona) noch einmal die Ergebnisse insbesondere im Hinblick auf die Frühe Neuzeit zusammen und stellte die Bedeutung der Quellenvielfalt für die Forschung heraus. In diesem Zusammenhang bekräftigte PAOLO PICCOLI (Notarskammer Trento/Revereto) die Rolle der Notare als verlässliche Urkundsbeamte, neben ihrer Bedeutung als Vermittler von Geld und Information am Kreditmarkt. GIUSEPPE DI LUCA (Mailand) machte in seinen abschließenden Überlegungen die transaction cost theory als Handlungskonzept stark und spannte damit den Bogen über die historischen und juristischen, wieder hin zu den ökonomischen Wurzeln des Workshop.

Der Mehrwert des Workshops lag damit darin, erstmals nach den schon länger zurückliegenden Tagungen und Sammelbänden von Gabriele B. Clemens3 und Schofield / Lambrecht4 zur Kreditgeschichte, wieder europaweite Experten zu dem Forschungsfeld zusammenzuführen. Dabei wurde deutlich, wie sehr die Organisationsform des Netzwerks und der Notar als Intermediär mittlerweile zum Paradigma geworden sind. Nach wie vor stehen Handlungsmuster und Handlungsgründe individueller, als auch kollektiver Akteure im Mittelpunkt der Untersuchungen. Insbesondere deren verschiedenen Ausprägungen von Privatpersonen bis Sparkassen und Banken in Wechselwirkung mit ökonomischen, sozialen und juristischen Rahmenbedingungen lenken den Blick auf den Begriff der Institution, dessen Definition gerade in der interdisziplinären Diskussion des Workshops jedoch unterbelichtet blieb. Unter Umständen könnten hier Ebenendifferenzierungen wie formal vs. informal oder makro vs. mikro, wie in einigen Vorträgen angedeutet, hilfreich sein. Neben der fächerübergreifenden Herangehensweise und einem absichtsvoll ökonomisierten Blick muss auf die bemerkenswerte Möglichkeit des insbesondere bei deutschen Mikrostudien 5 geforderten europäischen Vergleich hingearbeitet werden, was durch einen für 2016 unter der Herausgeberschaft von D'Maris Coffmann und den beiden Organisatorinnen geplanten Sammelband in der Reihe "Palgrave Studies in the History of Finance" geleistet werden dürfte.

Konferenzübersicht:

Einführung
Andrea Leonardi (Università degli Studi di Trento) und Cinzia Lorandini (Università degli Studi di Trento)

1. Block
Chair: Renata Ago (Sapienza Università di Roma)

Cinzia Lorandini (Università degli Studi di Trento): Relationships and Institutions: The Financing and Lending Practices of Trentino Merchants, 1740-1780

Marcella Lorenzini (Università degli Studi di Trento): Notarial Credit in Eighteenth-Century Trentino: Dynamics and Trends

Craig Muldrew (University of Cambridge): The Social Acceptance of Paper Credit as Currency in Eighteenth-Century England: A Case Study of Glastonbury c.1720-1742

David Carvajal de la Vega (Universidad de Valladolid): Beyond the Bank: The Role of Private Credit in Time of War (Valladolid, 1808-1814)

Diskussion

2. Block
Chair: Giuseppe De Luca (Università degli Studi di Milano)

Gabriele Clemens, Daniel Reupke (Universität des Saarlandes): Challenging the Institutional Revolution of Credit Markets in the Nineteenth Century

Victoria Barnes, Lucy Newton (University of Reading): Formalising Credit Markets? The First Bank Managers and Directors of British Joint-Stock Banks, 1826-1844

Maria Carmela Schisani, Francesca Caiazzo (Università degli Studi di Napoli Federico II): Relationship-based Business in Changing European Financial Scenarios: The Case of Parent

Diskussion und Round Table

Renata Ago, Giuseppe De Luca, Paolo Piccoli (Consiglio Notarile di Trento e Rovereto), Edoardo Demo (Università degli Studi di Verona), D’Maris Coffman (UCL)

Anmerkungen:
1 IFESMez (Imprese, Finanza, Economia, Società nel Mezzogiorno) ist ein komplexes und detailliertes Tool, um die in relationalen Datenbanken vorliegenden, heterogenen Quellenbestände zu verschiedensten Firmen des italienischen Süden zusammenzuführen. Vgl. <http://www.ifesmez.unina.it/pa/ > (07.10.2015).
2 Es handelt sich wohl um diesen Satz: „Il s'est formé ainsi des puissances financières, collectives par leurs bases, personelles par leur direction, [...]“ aus Eugène d'Eichthal, Notice sur la vie et les travaux de M. Henri Germain, in: Mémoires de l'Académie des sciences morales et politiques de l'Institut de France (25) 1907, S. 271-301, hier S. 279.
3 Gabriele B. Clemens (Hrsg.), Schuldenlast und Schuldenwert. Kreditnetzwerke in der europäischen Geschichte 1300-1900, Trier 2008.
4 Phillipp R. Schofield / Thijs Lambrecht (Hrsg.), Credit and the Rural Economy in North-western Europe, c. 1200-c. 1850, Turnhout 2009.
5 So jüngst Daniel Reupke, Credit markets in 19th century countryside – a comparative study in a rural border region, in: Andreas Gestrich / Martin Stark (Hrsg.): Debtors, Creditors, and their Networks: Social Dimensions of Monetary Dependence from the Seventeenth to the Twentieth Century, London 2015, S. 119-143, hier S. 143.


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